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Ein Fachinformatiker sitzt am Computer. Er hat Kopfhörer auf.Ein Fachinformatiker sitzt am Computer. Er hat Kopfhörer auf.

Wie das Düsseldorfer Start-up Retraced IT-Fachkräfte aus aller Welt rekrutiert

Um qualifiziertes IT-Personal zu finden, begab sich das Düsseldorfer Start-up Retraced mit Unterstützung von „Hand in Hand for International Talents“ im Ausland auf die Suche – und wurde fündig. Inzwischen beschäftigt das Unternehmen Softwareentwicklerinnen und -entwickler aus Brasilien, Indien, Vietnam, der Türkei und vielen anderen Ländern.

Bevor João Miguel Erig Bohn im September 2023 am Frankfurter Flughafen landete, um seine Stelle als Softwareentwickler bei der Retraced GmbH in Düsseldorf anzutreten, hatte er bereits ein halbes Jahr von Brasilien aus für das Start-up gearbeitet. „Alle waren sehr hilfsbereit und haben mich freundlich aufgenommen. Da ich meine Kolleginnen und Kollegen bereits vom Bildschirm kannte und mich schon in meinen Aufgabenbereich eingearbeitet hatte, verlief mein Start hier wirklich reibungslos“, berichtet der 27-Jährige, der zuvor als IT-Techniker im öffentlichen Dienst für das Bundesinstitut für Bildung, Wissenschaft und Technologie von Santa Catarina, einem Bundesstaat im Süden Brasiliens, tätig war. Durch einen Artikel auf der Bundesinstituts-Homepage erfuhr er von dem Projekt „Hand in Hand for International Talents“ (HiH) der DIHK Service GmbH und der Bundesagentur für Arbeit (BA), das deutsche IHK-Unternehmen und qualifizierte Fachkräfte aus den Pilotländern Brasilien, Indien und Vietnam zusammenbringt.

„Ich hatte immer den Wunsch, irgendwann in den USA, Kanada oder Europa zu leben“, erzählt João Bohn, dessen Vater in Mannheim studiert hat und fließend Deutsch spricht. „Als ich von dem Projekt hörte, hatte ich das Gefühl, dass sich alles zusammenfügt. Das war die ideale Gelegenheit für mich.“

In einem offenen Büro zeigt ein Mann einem anderen Mann und einer Frau etwas auf einem Tablet.

Teilanerkennung als Fachinformatiker

Über die Auslandshandelskammer (AHK) Brasilien bewarb er sich für die Teilnahme am Projekt und wurde schließlich an das Unternehmen Retraced vermittelt, welches Online-Lösungen für ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement anbietet und über 150 internationale Modehersteller zu seinen Kunden zählt.

Dank seines College-Abschlusses in Brasilien und seiner Berufserfahrung erhielt João Bohn in Deutschland eine Teilanerkennung als Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. Für eine vollständige Anerkennung muss sein Arbeitgeber nachweisen, dass er die fehlenden Kenntnisse – in João Bohns Fall vor allem deutsches und europäisches Datenschutzrecht – innerhalb einer bestimmten Frist durch interne Schulungen vermittelt.

Bereits 13 IT-Fachkräfte aus dem Ausland rekrutiert

„Wir haben sehr viel voneinander profitiert“, sagt Guido Mayer, Projektmanager bei Retraced, über die Zusammenarbeit mit „Hand in Hand for International Talents“. „In der IT-Branche herrscht ja ohnehin ein Mangel an qualifizierten Fachkräften. Für uns als Start-up kommt hinzu, dass wir noch nicht mit den Gehältern oder Zusatzleistungen großer Unternehmen konkurrieren können. Das macht es für uns noch schwieriger, geeignete Mitarbeitende zu finden.“ Fünf Informatikerinnen und Informatiker aus Brasilien, Indien und Vietnam hat das Unternehmen über das HiH-Projekt eingestellt. „Ohne die Unterstützung hätten wir uns im Paragraphendschungel rund um Visabestimmungen, Anerkennungsverfahren etc. nicht zurechtgefunden. Durch das Projekt haben wir uns im Laufe der Zeit immer mehr Hintergrundwissen angeeignet und haben mittlerweile acht weitere Fachkräfte selbst rekrutiert“, berichtet Guido Mayer.

Hilfreich war für uns, dass wir mit der Arbeitsagentur und der IHK in Düsseldorf feste Ansprechpartner vor Ort hatten, an die wir uns jederzeit wenden konnten und die uns regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht haben, wenn es z. B. Änderungen bei den Visabestimmungen gab. Das hat uns eine gewisse Sicherheit gegeben und uns viel Arbeit abgenommen, die wir als Start-up in dem Umfang gar nicht hätten leisten können.“

Guido Mayer
Retraced GmbH
Ein Mann mit verschränkten Armen lächelt freundlich in die Kamera.

Für die Einarbeitung der ausländischen Fachkräfte hat das Unternehmen ein festes Onboarding-Konzept entwickelt. Bei Bedarf unterstützen Guido Mayer und seine deutschen Kolleginnen und Kollegen auch bei Wohnungsbesichtigungen oder Behördengängen. Auch gemeinsame private Unternehmungen wie Sightseeing-Touren durch Düsseldorf gehören dazu. „Es ist toll zu sehen, wie sich unsere ausländischen Mitarbeitenden auch gegenseitig unterstützen und z. B. zusammen zum Bürgerbüro gehen.“

Die Unternehmenssprache bei Retraced ist Englisch. „Das macht es einfacher für neue Mitarbeitende, die wenig oder noch gar kein Deutsch sprechen“, sagt Guido Mayer. „Wir wissen aber, wie wichtig es für die gesellschaftliche Integration ist, dass sie auch Deutsch lernen. Am Anfang haben wir deshalb interne Deutschkurse angeboten. Da das Sprachniveau aber zu unterschiedlich war, hat sich das nicht bewährt.“ Stattdessen unterstützt das Unternehmen seine ausländischen Fachkräfte nun individuell und vermittelt je nach Bedarf z. B. externe Angebote. Um ihnen den Start in Deutschland zu erleichtern, hat das Unternehmen außerdem eine Dreizimmerwohnung angemietet, in der sie kostenlos wohnen können, bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben.

Einarbeitung per remote

Nachdem sich ein Mitarbeiter aus Brasilien nach kurzer Zeit aus persönlichen Gründen entschied, in sein Heimatland zurückzukehren, führte Retraced eine Probearbeitsphase per remote ein. Während die Visums- und Anerkennungsverfahren laufen, arbeiten neue Mitarbeitende nun bereits mehrere Wochen von ihrem Heimatland aus für das Unternehmen. „Remote-Arbeit ist bei uns ohnehin üblich. In diesem Fall bietet sie für beide Seiten die Möglichkeit, sich im Vorfeld der Einreise kennenzulernen und herauszufinden, ob es passt“, sagt Guido Mayer.

João Bohn hat vor seiner Abreise viel über sein neues Heimatland gelesen und sich zahlreiche Videos über Deutschland angesehen. „Als ich in Düsseldorf ankam, war ich beeindruckt von der Infrastruktur, aber auch von so viel Natur in der Stadt“, erzählt der Brasilianer. Er plant, 2024 auch für seine Frau und seine Eltern eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu beantragen. „Ich bin sehr dankbar für die Chance, die sich mir geboten hat und freue mich auf viele Jahre hier in Deutschland.“

Autorin: Mascha Dinter

Lesen Sie hier, wie es mit João Bohns Geschichte weiterging!

Ein Mann hat Kopfhörer auf und arbeitet in einem Großraumbüro an einem Computer.