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Nahaufnahme eines Klemmbretts, auf dem eine Frau etwas notiert.Nahaufnahme eines Klemmbretts, auf dem eine Frau etwas notiert.

Das Gütezeichen „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“

Die Anwerbung internationaler Pflegefachkräfte ist wichtig für die Sicherung der Pflege in Deutschland. Damit Fachkräfte faire Bedingungen vorfinden und Arbeitgeber sich besser orientieren können, wurde 2022 ein Gütezeichen eingeführt. Es heißt „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ und wird an Personalvermittler vergeben.

Im Interview erklärt Ann-Christin Wedeking, Leiterin der Geschäftsstelle der Gütegemeinschaft Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland e. V., wie das Gütezeichen entstanden ist. Sie spricht über die Kriterien, die erfüllt werden müssen, und über die positiven Veränderungen, die bereits sichtbar sind. Ein Gespräch über Transparenz, Verantwortung und die Zukunft fairer Rekrutierung.

Wie kam es dazu, dass man gesagt hat, man braucht ein Gütesiegel? Was war der Ausgangspunkt?

Es gibt zwei Ausgangspunkte. Einmal wurde der Markt der Arbeitsvermittlung stärker dereguliert. Das Anwerbemonopol der Bundesagentur für Arbeit wurde aufgehoben, sodass private Personalvermittler auch vermitteln konnten. Und dann gab es 2018 die Konzertierte Aktion Pflege mit verschiedenen Maßnahmen, wie man das Berufsbild der Pflege verbessern kann, um dem Pflegefachkräftemangel entgegenzutreten. In der Arbeitsgruppe 4 „Pflegekräfte aus dem Ausland“ hat man sich dann überlegt, dass ein Gütesiegel entwickelt werden sollte.

Ann-Christin Wedeking
Leiterin der Geschäftsstelle der Gütegemeinschaft Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland e. V.
Ann-Christin Wedeking hält das Gütezeichen Faire Anwerbung in der Pflege in die Kamera

Hat man das von vorneherein schon regulieren wollen. Oder hat man gesagt: „Hier passiert gerade ganz viel, was wir nicht wollen“?

In der Konzertierten Aktion Pflege waren auch Arbeitgeber, die gesagt haben, wir kriegen jeden Tag Angebote von Personalvermittlern und haben den Eindruck, das ist alles nicht ganz seriös. Und genau in dem Zusammenhang wurde diese Maßnahme beschlossen, dass es ein Orientierungsmerkmal braucht, wie man gute Vermittlungsangebote erkennen kann. Es sind ja nicht per se alle privaten Personalvermittler schlecht. Aber es gibt auch immer noch relativ viele, die nicht so gut arbeiten, und das fällt den Arbeitgebern auf die Füße. Sie bezahlen viel Geld, die Kommunikation und Transparenz der Verfahren ist schlecht und dann kommen die Pflegefachkräfte nicht oder sind schlecht vorbereitet.

Welche weiteren Ziele verfolgt das Gütezeichen?

Es gibt 3 Ziele. Das eine Ziel ist, dass der Vermittlungsprozess transparent ist. Alle Beteiligten, ob Pflegefachperson oder Arbeitgeber, sollen sofort erkennen können: Das ist ein faires Angebot oder nicht. Zweitens geht es darum, die Fachkräfte zu schützen. Das ist ein zentrales Ziel, warum es das Gütesiegel gibt. Es sind viele schlimme Geschichten bekannt geworden: vom Einbehalten von Pässen über Zahlungen hoher Geldsummen an den Vermittler, was am Ende in einer Schuldenspirale endete. Und das dritte Ziel ist die Orientierung für Arbeitgebende in einem Markt, wo es sehr viele private Personalvermittler gibt.

Nach welchen Kriterien wird das Gütesiegel vergeben?

Es gibt drei Güte- bzw. Prüfbereiche. Der Erste befasst sich mit der Transparenz und den Informationen für Pflegefachkräfte. Dazu gibt es eine Broschüre mit Informationen zur Erwerbsmigration in die Pflege nach Deutschland in 10 Sprachen, sodass möglichst viele die Infos verstehen können. Da steht z. B. drin: Was ist der Arztvorbehalt? Wie funktioniert Sozialversicherung in Deutschland? Und so weiter. Das ist der erste Punkt, den Vermittler nachweisen müssen, dass sie den Kandidaten, die sie anwerben, diese Infobroschüre zur Verfügung gestellt haben.

Der zweite Prüfbereich bezieht sich auf die Unternehmensverantwortlichkeit. Da geht es darum, dass die Vermittler ein Leitbild haben, in dem sie sich zu bestimmten Kriterien bekennen, auch zu den internationalen Standards wie den UN-Menschenrechten und den Prinzipien für „Faire Anwerbung“ der International Labour Organization (ILO), und damit u. a. auch zum Employer-Pays-Prinzip. Also dass die Kandidaten keine Kosten haben für die Vermittlung und auch nicht für die zugehörigen Kosten. Da zählen z. B. Vorbereitungskosten medizinischer Art dazu oder Sprachkurskosten. Diese Kosten muss der Arbeitgeber übernehmen.

Im dritten Prüfbereich geht es um die Transparenz in den Verhältnissen Arbeitgeber und Personalvermittler sowie Pflegefachpersonen und Personalvermittler. Da werden Anforderungen an Verträge gestellt oder an Vermittlungsbedingungen, die auch schriftlich fixiert sein müssen.

Wie funktioniert die Überprüfung?

Die Antragsteller stellen Unterlagen bereit, die von einem externen Dienstleister geprüft werden. Das sind u. a. AGBs, die Grundsatzerklärung, die auch auf der Website sein muss, der Link zur Infobroschüre und die Verträge, die mit der Pflegefachperson und mit Kooperationspartnern geschlossen werden. Kooperationspartner sind in der Regel Sprachschulen im Herkunftsland. Und die Kooperationsverträge mit den Kunden werden auch in der Prüfung eingesehen. Da geht es darum, dass keine unrechtmäßigen Bindungsklauseln vereinbart werden. Dann findet ein Prüfgespräch statt. Um zu schauen, ob die Dokumente, die in der Prüfung eingereicht wurden, tatsächlich so verwendet werden, zieht der externe Prüfer eine unabhängige Stichprobe von den platzierten Kandidaten, die dann einen Link zu einer Befragung erhalten. Dort wird abgeprüft: Musstest du wirklich nichts bezahlen? Hast du die Informationsbroschüre bekommen? Möchtest du sonst noch was über deinen Vermittlungsweg loswerden? Der Güteausschuss empfiehlt dann dem Vorstand eine Entscheidung für oder gegen die Erteilung des Gütezeichens auf Basis eines anonymisierten Prüfberichts des externen Dienstleisters.

Sie haben Bindungsklauseln erwähnt – was genau meinen Sie damit?

Z. B. wenn im Arbeitsvertrag geregelt ist, dass eine Zahlung fällig wird, wenn die Person nicht drei Jahre im Unternehmen bleibt. Das wäre nicht zulässig. Zulässig ist aber, wie es im deutschen Arbeitsrecht vorgesehen ist, und das sind in der Regel 2 Jahre. Wobei die Kosten, die zurückzuzahlen sind, je verbliebenem Monat im Unternehmen geringer werden müssen. Also wenn die Pflegefachkraft ein Jahr und sechs Monate dageblieben ist, dass sie dann nur den Anteil für sechs Monate zahlen muss. Aber auch da gilt, dass die reinen Vermittlungskosten in solchen Bindungsklauseln, die laut deutschem Arbeitsrecht zulässig sind, nicht eingerechnet werden dürfen. Es gibt ja zwei Arten von Kosten. Einmal die Marge, die der Vermittler draufrechnet für seine Vermittlungsdienstleistung, und dann das, was dazukommt: Sprachkurs, Reisekosten, Visakosten. Wir sagen auch den Arbeitgebern immer: Bindungsklauseln bringen nichts. Es muss halt ein vernünftiges, betriebliches Integrationsmanagement geben und wenn die Leute sich wohlfühlen, dann wollen die in der Regel nicht wechseln oder abbrechen.

Alle 2 Jahre muss erneut eine Prüfung der Agenturen mit Gütezeichen erfolgen – was passiert, während der 2 Jahre, in denen keine Prüfung stattfindet?

Es muss eine Dokumentation darüber geben, dass die Kriterien eingehalten wurden, die sogenannte „Eigenüberwachung“. D. h. z. B.: Eine Agentur hat gemerkt, ihr Partner XY im Ausland verstößt gegen die Vorgaben. Dann muss sie Maßnahmen umsetzen, damit sie die Kriterien wieder einhält: Kooperation wurde gekündigt, Kandidaten wurden entschädigt etc. Und das ist, was in der Eigenüberwachung dokumentiert und im Rahmen der erneuten Fremdüberwachung (Rezertifizierung) nach 2 Jahren abgeprüft wird.

D. h. in dem genannten Beispiel: Die Vermittlungsagentur zeigt es selbst an und tut was dagegen. Darf sie das Gütezeichen behalten?

Ja, sie können ja erst mal nichts dafür, dass der Kooperationspartner (kurzfristig) gegen die Kriterien verstoßen hat und dementsprechend ist das kein Grund, warum ein Gütezeichen entzogen wird. Was aber schon ein Grund ist, wo es auch direkt entzogen wird, ist, wenn herauskommt, dass die Unterlagen, die zur Prüfung eingereicht wurden, nicht dem entsprechen, was in der Praxis gelebt wird. Das war vor allen Dingen zur Einführung des Gütesiegels der Fall. Das Gütesiegel wird zum Beispiel entzogen, wenn Strafzahlungen verlangt werden. In einem Fall z. B. sollte jemand, wenn er den Vermittlungsprozess verlässt, 5.000 € zahlen. Das wurde uns von einem Wettbewerber gemeldet. Aber es melden sich auch Kandidatinnen und Kandidaten bei uns, wenn sie denken, irgendwas läuft hier nicht entsprechend den Kriterien. In dem einen Fall stand das in einem Vertrag drin, der definitiv nicht zur Prüfung vorlag. Und dann ist es relativ klar. So ein Vertrag ist ja etwas ziemlich Handfestes.

Und haben Sie das Gefühl, dass es schwarze Schafe gibt, die versuchen, sich das zu erschleichen und diejenigen es dann nicht bestehen?

Ich habe eher den Eindruck, dass die Agenturen nicht bestehen, die den Prozess nur durchlaufen, weil es ein Arbeitgeber verlangt. Bei den Agenturen, die das aus eigener Motivation machen und sowieso schon danach arbeiten, ist das relativ unproblematisch und da funktioniert die Prüfung auch schneller und der Prozess ist nach drei Monaten abgeschlossen. Bei den Anträgen, die negativ beschieden werden, liegen nicht alle Dokumente vor oder die Dokumente entsprechen nicht im vollen Umfang den Anforderungen. Aber dass man sich das erschleichen will, das haben wir eher weniger.

Wie wird das Gütesiegel von den Vermittlern angenommen? Würden Sie sagen, alle wollen das haben?

Die, die eh schon nach diesen Kriterien gearbeitet haben, auch bevor es ein Gütesiegel gab, schon. Und jetzt ist eine interessante Sache zu beobachten: In Schleswig-Holstein wurde eingeführt, dass Pflegeeinrichtungen, die Anwerbekosten refinanzieren können über die Pflegesätze, wenn sie mit einer begütesiegelten Agentur zusammenarbeiten. Und das hat noch mal einen Schwung gebracht, weil das dadurch natürlich mehr Vorteile und einen Zugang zu Kunden mit sich bringt. Ich glaube, es gibt aber auch immer noch genug Agenturen, die das nicht machen wollen, weil sie dann ihre Dokumente offenlegen müssen und herauskommen würde, dass sie eben ein nicht so gutes oder seriöses Angebot haben. Es gibt noch zu viele Arbeitgeber, die einfach nur auf den Preis achten. Aber was man schon sagen kann, ist, dass die 61 Unternehmen, die das Gütesiegel nutzen, da sind die großen marktführenden Unternehmen schon mit dabei. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der einwandernden Pflegefachpersonen über gütegesicherte Wege kommt.

Kennen die Pflegekräfte im Ausland das Gütesiegel beziehungsweise suchen sie sich dann auch lieber einen Vermittler, der das Gütesiegel hat?

Das ist sehr unterschiedlich je Herkunftsland. In Indien beispielsweise ist es nicht so bekannt, wie wir es gerne hätten. Aber in Tunesien und Marokko gehen die Pflegefachpersonen auch wirklich auf die mit dem Gütezeichen ausgezeichneten Vermittler zu und sagen, ich möchte mich hier bewerben, weil ihr das Gütezeichen habt. Wir haben deshalb letztes Jahr und Anfang dieses Jahres eine Kampagne in den sozialen Medien gemacht. Erst auf den Philippinen und dann auch in Indien, wo Kandidatinnen und Kandidaten gesagt haben, warum es wichtig ist, eine Gütesiegel-Agentur auszuwählen. Das hat super funktioniert; die Kampagne wurde gut angenommen. Und was auch hilft, ist, wenn die Visastellen, die Auslandsvertretungen, darüber informiert sind und das entsprechend weitertragen.

Was hat sich seit der Einführung das Gütezeichens verändert?

Was sich stark verändert hat, ist, dass es einen Vertrag geben muss zwischen der Pflegefachperson und den Vermittlern. Heutzutage ist das kein Thema mehr. Als das Gütezeichen eingeführt wurde, war das der größte Kritikpunkt und da haben alle gesagt: Wir können doch keine Verträge schließen, das machen wir nicht. Und jetzt machen sie es doch. Und das ist auch gut so. Die Verträge müssen auch auf einer der Pflegefachkraft verständigen Sprachen vorliegen. D. h., wenn ich in Indien vermittle, ist Englisch in Ordnung. Aber wenn ich in Tunesien vermittle, muss es Arabisch oder Französisch sein. Das hat sich schon sehr stark geändert. Auch dass die Pflegefachperson auf Augenhöhe behandelt wird und selbst die Entscheidung bekommt, ob es ein Arbeitsplatzangebot ist, das sie annehmen möchte.

Wo sehen Sie noch Weiterentwicklungsperspektiven für das Gütezeichen?

Ich glaube, je mehr Vorteile es mit sich bringt, das Gütesiegel zu haben, desto attraktiver ist es für diejenigen, die wir bisher noch nicht damit erreichen konnten. Es wäre natürlich schön, wenn nach Schleswig-Holstein auch alle anderen Bundesländer mit einer Option der Refinanzierung von Anwerbekosten nachziehen würden. Da scheint gerade ein bisschen Bewegung zu sein. Auf der anderen Seite wäre eine stärkere Verpflichtung der öffentlichen Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, mit ausgezeichneten Unternehmen zusammenzuarbeiten, ein wichtiger Hebel, die Durchsetzung der ethisch vertretbaren und fairen Anwerbestandards zu fördern.

Wie sehen Sie die Ausweitung auf weitere Branchen?

Ich glaube, als einfachster Schritt wäre eine Ausweitung auf die Azubi-Anwerbung und weitere Gesundheitsberufe sinnvoll. Aktuell bezieht sich das Gütezeichen ja nur auf die Anwerbung von Pflegefachpersonal. Wir beobachten gerade, dass im Azubi-Bereich viel passiert im negativen Sinne, zum Beispiel die Bereitschaft der Arbeitgebenden, für Azubi-Anwerbung eine Vermittlungsgebühr zu zahlen. Die Azubis müssen ebenso wie die Fachpersonen ja ein Sprachlevel haben, um einreisen zu können. Da wird anscheinend davon ausgegangen, dass die das selber zahlen können. Andererseits hören wir immer wieder von betrügerischen Praktiken, dass in den Herkunftsländern unechte Arbeits- oder Ausbildungsverträge verkauft werden, die dann plötzlich kurz vor oder nach der Einreise gekündigt werden. Durch weitere Zahlungen soll das Problem dann geklärt werden – das ist natürlich höchst unseriös.

Grundsätzlich beruhen die Kriterien des Gütesiegels ja auf internationalen Standards und die kann man natürlich auch auf alle anderen Berufsgruppen ausweiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

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